„Gegen das Denken aus der Versorgungslücke“

Beitrag von: Boris Karkowski
30. August 2018

Der Unternehmenswert ist nicht nur eine sachliche Frage, sondern oft auch eine hochemotionale. Wie können der vertraute Prüfer und der M&A-Berater zusammenarbeiten, damit der optimale Unternehmenswert für den Verkäufer erzielt werden kann? WP und StB Wilhelm Bollmann (links) und M&A-Berater Ervin Schellenberg  (rechts) haben sich zum Gespräch getroffen.

Ervin Schellenberg: Herr Bollmann, Unternehmensbewertungen sind unser beider Handwerk. Wie gehen Sie typischerweise zu Anfang bei einer Bewertung vor?

Wilhelm Bollmann: Ehrlich gesagt machen wir da keine großen Gutachten. Uns sind vor allem die nachhaltig belastbaren Zahlen wichtig: verlässliche Ist-Zahlen und realistische Planungen. Und auf dieser Basis errechnen wir mit einem Multiplikatorverfahren einen ersten Bewertungsrahmen.

ES: Da unterscheiden wir uns dann ja gar nicht so sehr. Trotzdem können Ihre Bewertung und unsere schon manchmal deutlicher voneinander abweichen.

WB: Das liegt wahrscheinlich an der unterschiedlichen Perspektive. Wir kennen als langjähriger Vertrauter das Unternehmen sehr genau …

ES: … und wir wiederum die Märkte und Käufer sehr gut und wissen auch, welche Faktoren wie den Wert beeinflussen können. In manchen Branchen sehen wir eine Schwankungsbreite beim Multiple von 6 bis 25. Für eine realistische Erwartung muss man die Branche und ihre Subsegmente aus vielen Gesprächen mit Käufern und der Analyse von Transaktionen genau kennen. Wir treffen zwei Arten von Unternehmern: die, die ihren Wert zu hoch bewerten, und die, die sich zu niedrig bewerten.

WB: Die überhöhte Eigeneinschätzung ist natürlich die schwierigere. Denn dahintersteht meist das Denken aus der Versorgungslücke: So viel fehlt mir noch für einen komfortablen Lebensabend – also will ich mit dem Verkauf diese Versorgungslücke decken. Da muss man sehr sachlich, aber auch offen mit dem Unternehmer diskutieren.

ES: Für uns lohnt es sich nur, den Prozess zu starten, wenn die Preisvorstellung zu den im Markt gezahlten Preisen passt. Wir machen deshalb eine vorweggenommene Sorgfaltsprüfung und sagen danach: Das wird voraussichtlich an kritischen Punkten auf dich zukommen. Abgebrochene Transaktionen schaden dem Unternehmen und uns.

WB: Da bin ich wieder bei meinem Thema: realistische Planzahlen. Gern in verschiedenen Szenarien, aber die Planung muss zum Unternehmen passen, auch zur bisherigen Entwicklung. Sehr viele Unternehmensverkäufe werden abgebrochen, weil es irgendwo eine böse Überraschung gab. Darum warne ich immer sehr offen, sobald ich das Gefühl habe, hier führt der Wunsch nach einem hohen Kaufpreis den Planungsstift.

ES: Dabei gibt es noch ganz andere Möglichkeiten, den Wert eines Unternehmens zu steigern. Es sollte die Perspektive des möglichen Käufers eingenommen werden. Wir haben kürzlich einen Fall gehabt, da wussten wir: Durch einen Zukauf einer Technologie beziehungsweise Anwendung, die er über sein Vertriebs- und Servicenetz verkaufen kann, wird der Käufer seinen eigenen Umsatz deutlich steigern können. An diesem Wertbaustein haben wir den Verkäufer partizipieren lassen.

WB: Die Auswahl des richtigen Käufers sehe ich als die klassische Aufgabe des M&A-Beraters. Der Unternehmer und auch wir unterstützen dabei natürlich mit eigenen Vorschlägen.

ES: Kaum ein Unternehmen ist schon „optimal“ aus Sicht des Käufers. Darum ist es wichtig, frühzeitig ein „virtuelles Unternehmen“ zu schaffen, das passt. Das umfasst auch, was beispielsweise in die GuV und Bilanz hineingehört und was besser ausgegliedert werden sollte. Vielleicht lässt sich der ausgegliederte Unternehmensteil, der die Bewertung nur verwässern würde, separat veräußern. Bei dieser Arbeit hilft uns der Prüfer sehr.

WB: Der Steuerberater sollte dabei aber auch nicht vernachlässigt werden. Die Steueroptimierung solcher Umstrukturierungsmaßnahmen kostet Zeit. Beispielsweise wenn es darum geht, Betriebsteile, Grundstücke oder Ähnliches auszugliedern. Ein bis zwei Jahre Vorlauf sollten dafür schon gerechnet werden.

ES: Das ist absolut sinnvoll. In jedem Fall sollten die Zahlen sorgfältig aufbereitet und die möglichen Performance-Stellschrauben eingestellt werden. Wir raten Unternehmern: Lassen Sie sich nicht durch ein unaufgefordertes Kaufpreisangebot, wie es immer häufiger zu sehen ist, in einen Verkauf hineinziehen. Auch wenn das Angebot erst einmal verlockend klingt – in der Regel haben Sie noch gar nicht das richtige Zahlenwerk und die schlüssige Equity Story zur Hand. Das Banken-Reporting zum Beispiel ist auf die Risikoperspektive ausgerichtet; der Verkäufer braucht aber die Chancensicht.

WB: Wir sehen es als Teil unserer Aufgabe, den Mandanten laufend zu beraten, welches Zahlenmaterial ihm wirklich weiterhilft. Außerdem empfehlen wir ihm, seine eigenen Chancen und Stärken einmal aufzuschreiben, nicht nur auszusprechen. Wo sieht er Potenziale, welche Perspektiven hat das Unternehmen? Und nicht zuletzt: Personalfragen müssen früh geklärt werden. Wie gut ist die zweite Führungsebene? All diese Themen brauchen Vorbereitung.

ES: Das alles gehört zu einem ordentlichen Verkaufsprozess dazu. Halten Sie da eigentlich gern die Zügel in der Hand und führen den Prozess?

WB: Es kommt darauf an: auf den Mandanten, auf den potenziellen Käufer, darauf, welche Kompetenzen besonders gefragt sind. Am Ende müssen alle Beteiligten – ob M&A-Berater, Prüfer, Steuerberater oder auch der notwendige Rechtsanwalt – zuallererst im Interesse des Mandanten handeln. Klare Absprachen und Rollenaufteilungen sind da wichtig, aber bei professionellen Beratern gibt es da auch keine Probleme.

ES: Wir werden in Zukunft mehr Spezialisierung sehen, das macht die Arbeitsteilung einfacher.

Bildnachweis: Unternehmen

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